Der Recurvebogen hat einen Tiller, der Compoundbogen nicht. Aber was ist denn der Tiller, oder was ist tillern? Der Tiller wurde eingeführt, um ein Ungleichgewicht im Auszug zu korrigieren. Jeder Bogenschütze packt mit der Bogenhand in das Griffstück des Bogens, die Zughand liegt aber nicht in einer geraden Linie zur Bogenhand. Beim Abschuss wird der Bogen also natürlich "schief" gehalten. Dies bedeutet, dass entweder der obere Wurfarm oder der untere Wurfarm stärker belastet wird. Dadurch wird auch unterschiedlich viel Energie von den Wurfarmen abgegeben. Dies ist ungünstig für den Pfeilflug, der Tiller soll das Ungleichgewicht korrigieren.
Der Tiller ist die Differenz der Abstände des unteren und des oberen Wurfarms zur Sehne, gemessen am Übergang der Wurfarme zum Mittelteil. Richtig eingestellte Tiller sollen bewirken, dass die Wurfarmenden synchron nach vorne geworfen werden, wenn der Pfeil die Sehne verlässt. Mit dem Tillern verändert man die Stellung der Wurfarme zum Mittelteil und beeinflusst damit die Kraftabgabe der Wurfarme.
Der Bogenschütze verlagert durch seinen individuellen Druckpunkt den theoretischen Drehpunkt je nach Handhaltung oder gewählter Griffgeometrie nach oben oder unten. Das nimmt auf die Abstimmung der Wurfarmsynchronisation Einfluss und bedingt eine asymmetrische Belastung des gesamten Systems.
Die Kraftmitte des Bogens, der Center, liegt ca. 35 bis 45 mm, je nach Konstruktion des Mittelteils, oberhalb des Drehpunktes bzw. der symmetrischen Mitte. Bei der Einstellung des korrekten Tillers sind die Herstellerangaben des Mittelteils unbedingt zu berücksichtigen. Der Hersteller hat viele Möglichkeiten, schon eine Lösung im Wurfarm zu verbauen. Die modernsten Mittelteile, z. B. der InnoCarbon von Win&Win darf (je nach Bogenschütze) mit einem sehr kleinen oder sogar einem Nulltiller geschossen werden.
Die Ermittlung des korrekten Tillers sollte daher von einem erfahrenen Händler bzw. vom Bogenschützen zusammen mit einem erfahrenen Trainer vorgenommen werden. Ganz falsch ist es, einen Tiller, der bei einem Bogenschützen funktioniert, einfach auf einen anderen Bogenschützen zu übertragen, oder veraltetes Wissen zu benutzen, weil das neue Mittelteil vom Hersteller komplett anders konzipiert wurde. Dieses wissen häufig die materialkundigen Händler des Vertrauens.
Der Bogenschütze muss dennoch grob verstanden haben, worum es bei dem Tiller geht und vor allem den Tiller regelmäßig prüfen. Gerade bei dem Recurvebogen ändern sich durch Witterungseinflüsse, Abnutzung und durch die entstehenden Erschütterungen beim Abschuss ständig die eingestellten Werte. Wenn die Pfeile nicht mehr dahin fliegen, wohin sie sollen, liegt die Ursache eventuell im Material. Jeder Schütze ist für sein Material verantwortlich und muss stets alle Schrauben auf Festigkeit und die Messwerte auf Korrektheit prüfen.
Um es noch einmal mit anderen Worten zu formulieren. Der Bogen überträgt bei einem Abschuss ca. 75 % - 80 % der aufgewendeten Energie auf den Pfeil, der Rest der Energie muss vom Mittelteil, den Wurfarmen und dem Bogenschützen aufgenommen werden. Bei diesen kontinuierlichen Erschütterungen müssen ALLE Schrauben des Bogen von dem Bogenschützen immer wieder auf festen Sitz kontrolliert werden. Besonders wenn es zu einem Leerschuss gekommen ist.
Der Bogenschütze muss also neben der Standhöhe auch seinen Tiller kennen und immer wieder überprüfen, um Abweichungen zu erkennen und bei Abweichungen Alarm zu schlagen. Der Tiller gehört in das Schießbuch des Bogenschützen, damit man diesen Wert immer wieder nachschlagen kann und auch der Trainer die Möglichkeit hat, im Laufe der Zeit den Tiller auf den Schießstil des Bogenschützen zu optimieren und ein entsprechendes Feintuning zu betreiben. Dies setzt aber voraus, dass man den Tiller kennt und kontrolliert.
Eine Veränderung des Tillers bewirkt automatisch auch eine Veränderung der Krafteinwirkung des Bogens auf den Pfeil. Einen Bogen zu tillern ist eine wirkungsvolle Möglichkeit, um einen Pfeilflug zu optimieren. Jedoch muss man sich wirklich gut damit auskennen.
Der Bogenschütze nimmt seinen aufgespannten Bogen und misst die Distanz von der Stelle, an der das Mittelteil aufhört und der Wurfarm herausragt, bis zur Sehne. In dem linken Bild wird der Abstand des oberen Tillers gemessen und ermittelt. Diesen Wert muss sich der Bogenschütze wie auch die Standhöhe in seinem Schießbuch notieren.
Auf dem rechten Bild geschieht das gleiche, allerdings mit dem unteren Wurfarm. Der Wert des oberen Wurfarms (z. B. 17,5 cm) und des unteren Wurfarms (z. B. 17 cm) wird subtrahiert. In diesem Beispiel also 17,5 cm - 17 cm = 0,5 cm. Der Tiller in diesem Beispiel wäre also fünf. Für einen hochmodernen Bogen ist dieser Tillerwert sehr groß, durch die immer stabileren Mittelteile kann ein Tiller nahe Null (z. B. 3) geschossen werden, ei etwas älteren Mittelteilen beträgt der Tiller häufig zwischen 0,5 – 1.
Durch die andere Stellung der Wurfarme zum Mittelteil resultiert auch ein anderer Abstand zur Sehne. Daraus wird deutlich, dass die Wurfarme auch bei einem Tiller unterschiedlich Kraft abgeben. Der Tiller muss vom Händler des Vertrauens oder vom Trainer so geschickt eingestellt und ermittelt werden, dass der Bogenschütze ein schönes Trefferbild erhält. Der für den Bogenschützen ideale Tiller wird in der Feintungingphase sehr aufwändig ermittelte